Lieferketten: Ein Konkurrent als Ausrede

www.beltandroad.blog

Gastbeitrag: Merle Groneweg, Dezember 2019

China verletzt in seinen globalen Lieferketten die Menschenrechte und nimmt Umweltzerstörung in Kauf. Stimmt. Doch dies darf für westliche Unternehmen und Regierungen kein Grund sein, von eigenen Verfehlungen abzulenken. Besser wäre es, China aktiv in die Entwicklung von verbindlichen Standards einzubeziehen. Vor allem im Umweltbereich hat sich in China zudem bereits einiges getan.

Seit mehr als einem Jahrzehnt sind in China verstärkt Aktivitäten rund um das Thema Corporate Social Responsibility(CSR) zu beobachten. Bereits 2008 veröffentlichte die Regierung entsprechende Richtlinien und benannte Anforderungen an die Berichterstattung durch Unternehmen im Staatsbesitz. CSR werde inzwischen als „Verantwortung gegenüber dem eigenen Land“ propagiert, erklärte ein Unternehmensberater im Sommer 2019. Auch anspruchsvolle Umweltschutzgesetze wurden seither eingeführt – und werden auch durchgesetzt. Die breite Empörung in der chinesischen Bevölkerung über verpestete Luft und verschmutzte Gewässer spielten hierfür eine wesentliche Rolle.

Schwerpunkt auf Umweltrisiken

Die Benennung von sozialen, arbeits- und menschenrechtlichen Aspekten im Land selbst und bei den Aktivitäten chinesischer Unternehmen im Ausland ist jedoch weiterhin eine schwierige Domäne. Die Vertreterin einer chinesischen Nichtregierungsorganisation (NRO) in Beijing erklärte, hier würden noch viel Unwissenheit und auch Sorge vor Überforderung herrschen. „Lasst uns zu diesem Zeitpunkt erst einmal über die Umwelt reden“, würde häufig entgegnet – auch, weil Folgeschäden für die Umwelt leichter quantifiziert werden könnten.

Der Manager für nachhaltige Produktionsketten eines großen chinesischen Smartphone-Herstellers, der zuvor für eine namhafte Umwelt-NRO gearbeitet hatte, antwortete auf die Frage nach verantwortungsbewusstem Rohstoffbezug über seinen Arbeitgeber: „Sie wissen nicht, was sie tun, aber sie geben mir Raum, um das zu erkunden.“ Er wolle sich auch mit Konfliktmineralien befassen. Solche Aussagen zeugen davon, dass das Konzept der Sorgfaltspflichten – wie auch hierzulande – relativ neu ist, aber auch eine gewisse Aufbruchsstimmung zu spüren ist.

So schenkt auch die chinesische Regierung dem Thema inzwischen etwas Aufmerksamkeit. Die China Electronics Standardization Association (CESA), die dem Ministerium für Industrie und Informationstechnologie untersteht, greift im Rahmen ihrer breitgefassten CSR-Aktivitäten inzwischen auch das Thema Sorgfaltspflichten auf. Da die Regierung stets „der wichtigste Stakeholder“ ist, sei ihre erkennbare Unterstützung für dieses Thema von enormer Bedeutung.

NRO und Medien spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, Druck für die Umsetzung von Sorgfaltspflichten aufzubauen. In diesem Zusammenhang war die Veröffentlichung des Berichts „‚This is what we die for“ über die Bedeutung von Menschenrechtsverletzungen in der DR Congo für den weltweiten Handel mit Kobalt von Amnesty International im Jahr 2016 ein game changer. Die ‚Rufschädigung’, die das in dem Bericht heftig kritisierte chinesische Unternehmen Huayou Cobalt erlitt, habe Huayou Cobalt selbst, aber auch andere Unternehmen für die Thematik sensibilisiert. Unter Strategien der ‚Rufschädigung’ litten besonders jene Unternehmen, die namentlich in der Lieferkette westlicher Unternehmen auftauchten.

Verschiedene Akteure äußerten jedoch, dass dieser als ‚westlich’ empfundene Ansatz des naming and shaming in China sehr unüblich sei. NRO-Vertreter*innen äußerten, dass sie selbst diese Strategie aus unterschiedlichen Gründen nicht verfolgen können und wollen. Dies gelte insbesondere in Bezug auf direkte Kritik an der chinesischen Regierung oder chinesischen Staatsbetrieben. Erfolgreicher sei es da zu argumentieren, dass die chinesische Regierung verantwortungsbewusst handeln müsse, wenn sie global eine führende Rolle einnehmen wolle – und weitere Reputationsrisiken drohten, wenn chinesische Unternehmen im Ausland zu Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzung beitragen.

China ist dabei, eigene Standards zu entwickeln

Zugleich ist es wichtig, das Bestreben der chinesischen Regierung und anderer Akteure im Land, ein ‚global player’ zu sein, ernst zu nehmen – denn dies bedeutet eigene Normsetzung. „Unsere Begriffe werden immer andere sein“, sagte mir ein Kenner internationaler Standards, „es werden unsere Begriffe sein.“ Exemplarisch hierfür stehen die Richtlinien für Sorgfaltspflichten für verantwortungsbewusste Versorgungsketten von Mineralien, die 2015 von der China Chamber of Commerce of Metals, Minerals & Chemicals Importers & Exporters (CCCMC) veröffentlicht wurden. Sie basieren auf OECD-Standards im Rohstoffsektor und wurden in Kooperation mit der OECD entwickelt.

Da die Volksrepublik China kein OECD-Mitglied ist, muss die Regierung eigene Standards entwickeln. Ihre Umsetzung ist für die Unternehmen freiwillig, doch allein die Entwicklung der CCCMC-Guidelines hat dazu beigetragen, China als einen Akteur zu etablieren, der das Rahmenwerk für verantwortungsbewusste Rohstofflieferketten prägt.

An dieser Stelle ist auch die Responsable Cobalt Initiative (RCI) aus dem Jahr 2016 zu nennen, die ebenfalls von der CCCMC mitentwickelt und vorangetrieben wurde. Hierbei handelt es sich um die weltweit erste und einzige Industrie-Initiative, die sich mit verantwortungsvoller Kobaltbeschaffung auseinandersetzt. Im Gegensatz zu vielen anderen Industrie-Initiativen legt die RCI nicht nur einen Fokus auf Transparenz in der Berichterstattung, sondern versucht auch, Capacity-Building im Bereich der Risikominderung für Menschenrechtsverletzungen zu fördern.

Chinas Bedeutung für globale Lieferketten ist bereits jetzt enorm und wird noch weiter wachsen. Dies gilt sowohl für den Rohstoffsektor selbst als auch für die industrielle Produktion, etwa im Bereich der Elektronik oder der Herstellung von Elektroautos. Deshalb sollte die Volksrepublik China proaktiv in die Entwicklung von internationalen Rahmenwerken für menschenrechtliche Sorgfaltspflichten miteinbezogen werden – sonst wird es keine effektive Regulierung geben können.

In diesem Zusammenhang wäre es wünschenswert, dass die Bundesregierung und/oder die EU-Kommission ein offizielles Forum für den Austausch mit der chinesischen Regierung zu verantwortungsbewussten Lieferketten und Konzepten der Sorgfaltspflicht schaffen – analog etwa zum EU-China-Dialog zur Kreislaufwirtschaft. Doch dies wird nur und erst dann geschehen, wenn sie selbst glaubhaft an einer entsprechenden Regulierung interessiert sind.

Literatur:

Jannick Saegert und Gregor Gossman (2018): Human Rights Due Diligence in Mineral Supply Chains: International Developments and Chinese Efforts“. Stiftung Asienhaus, Blickwechsel.

Merle Groneweg und Michael Reckordt (2019): Lieferkettenverantwortung: Die Rolle Chinas für Debatte und Standardsetzung. PowerShift Factsheet

Merle Groneweg ist Mitglied der Südlink-Redaktion und Referentin für Rohstoffpolitik bei PowerShift.

Dieser Artikel erschien in längerer Fassung zuerst im Südlink 190

Schreibe einen Kommentar