Coronavirus infiziert auch BRI

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Uwe Hoering, Mai 2020

Mit dem 2013 ausgerufenen Infrastruktur- und Investitionsvorhaben der „Neuen Seidenstraßen“ (BRI) versprach China einen weltweiten Entwicklungs- und Globalisierungsschub. Doch die Corona-Pandemie hat alle wirtschaftlichen Prognosen über den Haufen geworfen und die geopolitische Konfrontation verschärft.

Die Lieferung von medizinischer Ausrüstung und die Entsendung von Ärzt*innen nach Italien nutzte Chinas Präsident Xi Jinping Mitte März 2020, um die vor drei Jahren mit der Weltgesundheitsorganisation WHO vereinbarte enge Zusammenarbeit an einer „Seidenstraße der Gesundheit“ öffentlichkeitswirksam ins mediale Scheinwerferlicht zu bringen. Auch zahlreichen anderen Ländern, vor allem in unmittelbarer Nachbarschaft in Asien, bietet China Erfahrung und tatkräftige Hilfe im Kampf gegen die Corona-Epidemie an. Peking kann positive Nachrichten gebrauchen, wird die Covid-19-Krise doch von US-Präsident Donald Trump und anderen genutzt, um Chinas internationales Ansehen auszuhöhlen.

Problematisch für Peking sind auch die Auswirkungen der Krise auf das Vorzeigeprojekt der Belt & Road Initiative (BRI), das eng mit Xi Jinpings Namen und Politik verbunden ist, und damit auf die wirtschaftlichen Perspektiven der über 100 daran beteiligten Länder. Die drastischen Eindämmungsmaßnahmen in China führten auf den zahllosen Baustellen für Kraftwerke, Hafenanlagen, Bahnstrecken oder Industrieanlagen, die vielfach von chinesischen Arbeitskräften und Zulieferern abhängig sind, zu Unterbrechungen und Verzögerungen. Verstärkt werden sie durch die Ausbreitung der weltweiten Epidemie in den Zielländern.

Für das an stetes Wachstum gewöhnte China selbst ist der deutliche Wirtschaftseinbruch im ersten Quartal 2020 durch Covid-19 und die Gegenmaßnahmen eine ungewohnte Erfahrung, die prompt zu Spekulationen über einen Legitimationsverlust der Regierung Xi Jinping führten. Nach der Schließung von einer halben Million vorwiegend kleinen und mittleren Unternehmen sank das Bruttoinlandsprodukt um 6,8 Prozent, anstatt wie angestrebt um 6 Prozent zu wachsen. Zahlen des Berliner Forschungsinstituts MERICS zeigen im Bausektor Produktionseinbrüche von fast 20 Prozent, in der Auto- und in der Textilindustrie bis zu 30 Prozent, in der verarbeitenden Industrie insgesamt von 10 Prozent. Die Exporte sanken um 13,3 Prozent, der Einzelhandel um 20 Prozent.

Inzwischen gibt es aber auch erste Anzeichen, dass die Wirtschaftsindikatoren wieder nach oben zeigen: Die Industrieproduktion stieg im März bereits wieder, ebenso Exporte und Investitionen. Die Kondensstreifen am Himmel, so wird berichtet, seien bereits fast wieder so zahlreich wie vor der Krise. Anscheinend zahlt es sich aus, dass die Regierung bereits frühzeitig und parallel zu den Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie Maßnahmen zur Stützung der Wirtschaft und für ein schnelles Umschalten auf neuerliches Wachstum ergriffen hat.

Ob daraus eine Rückkehr zu Wachstumsraten wie vor der Krise wird, hängt unter anderem von der Entwicklung der globalen Märkte ab, vorrangig in den Industrieländern. Aber auch die wirtschaftlichen Perspektiven der BRI-Länder, die einen wachsenden Anteil am chinesischen Handel und Auslandinvestitionen haben, sind unverzichtbar für eine Rückkehr zum Wachstumskurs. Jetzt wird es noch wichtiger als vor der Krise, dass die Milliardenkredite und -investitionen für die BRI-Länder dazu beitragen, Chinas eigene wirtschaftliche Probleme wie Überkapazitäten in Schlüsselindustrien und stagnierende Exportmärkte zu mildern. Sie sollen zudem Chinas Energiehunger, der nach der Krise wieder steigen wird, sichern und die Lieferung von Rohstoffen wie Lithium, Kobalt und Kupfer, die für die Modernisierung seiner Industrie notwendig sind, gewährleisten. Und Peking muss die politischen Allianzen und Freundschaften pflegen, die in den vergangenen Jahren entlang der neuen Seidenstraßen geschaffen wurden.

Zu einem Sprengsatz wird dabei die Schuldenlast vieler Länder, die mit Covid-19 besonders für ärmere Ländern untragbar geworden ist. Weltweit werden daher Forderungen nach Schuldenerleichterung durch Zahlungsaufschub, Umschuldung und Schuldenerlass immer lauter. Dem kann sich auch China nicht entziehen, das in den vergangenen Jahren zum größten bilateralen Gläubiger der Länder des globalen Südens geworden ist. Es wird geschätzt, dass chinesische Banken allein seit 2013, dem Beginn von BRI, 461 Milliarden US-Dollar für Projekte in 138 Ländern zugesagt haben, auch wenn noch nicht alle Gelder ausgezahlt wurden.

Ein erster, kleiner Schritt ist die Beteiligung an der G20-Initiative, bilaterale Zinszahlungen und Tilgungen für einkommensschwache Länder bis Ende 2020 auszusetzen. BRI-Projekten, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind, soll durch staatliche Entwicklungsbanken wie die China Development Bank unter die Arme gegriffen werden. Solche Hilfen sollten allerdings nach ökologischen und sozialen Kriterien eingesetzt werden, fordert eine internationale Koalition zivilgesellschaftlicher Organisationen. Denn viele Großprojekte verursachen schwere Schäden für Mensch und Umwelt.

Als Großgläubiger befindet sich die chinesische Politik in einer Zwickmühle. Gewichtigen Schuldnern muss sie entgegenkommen, zumal die Debatte über die chinesische „Schuldenfalle“ bereits schwere Imageschäden verursacht. Zudem müssen befreundete Partnerregierungen bei der Stange gehalten werden. Bereits in der Vergangenheit hat Peking daher häufiger seinen Schuldnerländern Erleichterung verschafft.

Andererseits verfügt China auch nicht über unbegrenzte Finanzmittel. Die Verschuldung von Zentralregierung, Provinzregierungen und staatlichen Banken ist bereits sehr hoch. Bei einigen Politikberatern der Regierung und im chinesischen Internet rumort es beharrlich, dass zu viel Geld für fragwürdige Projekte und korrupte Regierungen vergeudet wurde, das im Land selbst dringend benötigt wird. Die Financial Times vom 30. April zitiert einen chinesischen Finanzexperten, dass Probleme mit 20 Prozent des Portfolios verkraftbar seien, „aber wir können es nicht hinnehmen, wenn die Hälfte den Bach runter geht“.

Covid-19 hat Chinas internationale Lage, die durch den Handelskrieg mit den USA und wachsendes Misstrauen gegen geopolitische Ambitionen bereits belastet ist, weiter erschwert und kompliziert gemacht: Die Financial Times prognostiziert bereits, dass die Pandemie für die BRI-Projekte „wie eine Straßensperre wirkt“. Und der Versuch, sich als uneigennütziger Freund und Helfer in der Not zu positionieren, bekommt durch die geradezu weltumspannenden Vorwürfe, China sei letztendlich verantwortlich für Pandemie und Rezession, einen weiteren schweren Schlag.

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